Rohdaten: Justizvollzugsanstalt Heilbronn mit Außenstellen für den offenen Vollzug, u.a. der landwirtschaftlichen Außenstelle Staatsdomäne Hohrainhof. Das ist ein jahrhundertealter Bauernhof mit reicher Geschichte, in dem heute etwa 30 Strafgefangene im gelockerten Vollzug untergebracht und in Ackerbau, Rinderzucht, Landschaftspflege und Weinbau arbeiten - Deutschlands einzige derartige Einrichtung, den Besuch nach vorheriger Anmeldung unbedingt wert, und ignorieren Sie ruhig die Durchfahrtsverbote. Man wird vom Hohrainhof nicht erwarten, die Weinerzeugung des mittleren Neckarraumes zu revolutionieren. Erstes Ziel ist die Resozialisierung der Häftlinge, sprich die Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit, wobei jeder Häftling der JVA Heilbronn die Wahl hat, im Metallbau, der Tischlerei oder eben dem Weinbau unter professioneller Anleitung zu arbeiten und Geld zu verdienen - oder in seiner/ihrer Zelle zu versauern. Auf rund 11 ha Rebfläche werden Burgunder, Lemberger, Dornfelder und Cabernet-Sorten angebaut (Trollinger der ungeeigneten Böden wegen nicht) sowie zu etwa einem Drittel Riesling, Kerner, Müller-Thurgau, Grauburgunder, Traminer und Sauvignon blanc. Also klarer roter Schwerpunkt, aber warten wir mal ab. Daraus entstehen jedenfalls rund 30 Positionen zuzüglich Sekt, Obstsäften und Hochprozentigem.
Weinbau als Resozialisierungsmaßnahme? Das gefällt uns.
Hier, im Herzen des Heilbronner Landes mit seiner uralten Weinbautradition (was weder heißt, daß hier nur Spitzenprodukte entstehen noch daß die Gegend außerhalb ihrer community besonders bekannt oder geschätzt wäre), kommen wir an Schwarzriesling und seinem engen Verwandten Samtrot nicht vorbei: Spezialitäten, die man nur hier findet, und denen wir etwas mehr Lokalpatriotismus wünschen, denn Weltweinsorten baut jeder an. Der 2023 Samtrot erinnert uns zunächst an Muskattrollinger: süß und herb gleichermaßen. Am Gaumen schöne Entfaltung süßer roter Früchte, weich, aber fest und staubtrocken. Kompakt und beinahe opulent, ohne dick und ermüdend zu sein. Im besten Sinne fröhlich-süffig und sehr animierend mit feinfruchtigem, fast floralem Nachhall. Kein großartiger Speisenbegleiter, sondern ein Wein, der nichts fordert, aber Vergnügen schenkt. Der 2022 Samtrot trocken zeigt sich im Herbst 2025 sehr frisch, beinahe ungestüm. Recht dicht-kompaktes herb-rotfruchtiges Paket mit Noten von Sauerkirsche, roter Johannisbeere, aber auch der Schärfe schwarzen Pfeffers, und nach zwei Tagen in der geöffneten Flasche entwickelte sich eine scheue Note von Bourbon-Vanille. Wie der süßere Bruder wirkt er trotz satter 13,5 Vol-% täuschend leicht. Im ordentlichen Abgang knochentrocken wie zerbissene Johannisbeerkerne, auch etwas Himbeere und vielleicht die Würze von Eicheln zeigen sich. Beides durchaus unkomplizierte Weine, die nicht langweilig werden, so facettenreich sind sie, wenn man hineinhören will. Haben wir die Wahl zwischen trocken und halbtrocken ausgebauten Weinen, greifen wir meistens zur trockenen Variante. Hier nicht.
2023 Lemberger trocken: im Duft die erwarteten roten Früchte, vor allem Kirsche, kräftig, herb, säuerlich, und besondere würzige Noten stellten wir nicht fest. Im Mund Sauerkirsche, Blaubeeren, saftig, kantig, kraftvoll, ein Lemberger, der nicht unbedingt jedem gefallen will. Da probierten wir ihn einfach zum Linseneintopf, der natürlich mit einem Löffel Essig - dem gnadenlosen Feind jeden Weines - versetzt war. Zu dem bräuchte man üblicherweise mindestens einen robusten Riesling, wenn es unbedingt Wein sein soll, und dieser Lemberger lächelte die Geschmackskonkurrenz einfach weg. Das macht ihn nicht zum unkomplizierten Alltagsbegleiter, aber zur sicheren Bank für allerlei Umami-schwangere und von ihrer Textur her schwierig zu kombinierende Speisen. Unserer Meinung nach dem 2023 Merlot trocken vorzuziehen. Bei diesem wenig spektakulären Wein meinen wir immerhin einen Hauch saftiger schwarzer Johannisbeere zu schmecken, die wir eher bei Cabernet Sauvignon vermuten. Vielleicht wurde dem Merlot, der manchmal etwas lahm wirken kann, hier eine Handvoll Cabernet zugegeben und ihm damit Dampf gemacht - die altbekannte und kongeniale Partnerschaft.
Nur kurz zu den schwereren, dunklen Rotweinen, die wir im Herbst 2025 für eindeutig zu jung halten und um etwas Geduld bitten (die Weine einige Tage offen stehen zu lassen und temperiert im großen Glas zu servieren, entspannt sie wie üblich etwas): 2023 Rotwein Cuvee „Verboten gut“ - im Duft zunächst eine animalische Note (vielleicht Abfüllschock), die nach einigem Luftkontakt blauschwarzen Früchten, auch Tinte und Pfeffer Platz macht. Im Mund durchaus samtig, unbedingt trocken mit gut eingebundener Säure, schön sich entfaltend und sehr animierend. Wir schmecken süße Heidelbeere, schwarze Kirsche, leichte Eichenwürze. Heißer, kirschiger und - wie bei den Weinen des Hohrainhofs üblich - sehr langer Nachhall. Bei dem zu jungen 2022 „Factum“ müssen wir uns über kantige Tannine und heißen, rauen Charakter nicht wundern. Uns erschien sein schillernder Duft - Leder, Tinte, Bleistift, Gewürznelke, später Schokoladiges - jedenfalls interessanter als die heute noch etwas reduzierte Aromatik dunkler, saurer Früchte. Zwei Jahre ++ warten. Der Wein hält das problemlos aus.
Der Wein, mit dem ein großer Sohn Württembergs, ja Deutschlands geehrt wird? Leider nicht, denn der Name bezieht sich auf die angeblich schillernde Farbe zwischen Rot- und Goldtönen. Die wiederum rührt vom gemeinsamen Keltern roter und weißer Beeren her, Sortenreinheit - wir erwähnen es immer wieder - ist eine Erscheinung der Moderne. So ist der Schillerwein Zeuge jener Zeiten, als in den Gärbottich wanderte, was gerade da war, welche Beeren auch immer, gleich, ob noch grün, reif, überreif, vielleicht schon faul. Immerhin ist dem Württemberger Winzer überlassen, was er komponiert - Felix Adelmann zum Beispiel wählt Traminer und Merlot -, aber so lässig wie in alten Zeiten entsteht Schillerwein heute natürlich nicht mehr. Wenigstens ist der Name für diese Württembergische Weinspezialität reserviert; Weine vergleichbarer Machart aus anderen Regionen tragen andere Namen und dürfen dort eben nicht Schillerwein heißen, und mit der österreichischen Spezialität Gemischter Satz (ebenfalls geschützte Bezeichnung) hat das Ganze auch nichts zu tun.
Wenn wir durch die Württemberger Lande reisen, haben wir den Eindruck, das Schillerwein gänzlich aus der Mode kommt, und auch der oben erwähnte Adelmann wird vorsichtshalber nicht so benannt. Die Gründe sind vielschichtig, fest steht, daß der Hohrainhof den erfreulichen Mut hat, einen durchaus lieblich erdbeerfruchtigen, am Gaumen leicht rauen 2022 Schillerwein zu keltern, der hohe Trinkgeschwindigkeit und noch höhere Ähnlichkeit mit fröhlich-sommerlichem Rosé hat und perfekt zur lachenden, plappernden Terrassenrunde passt.
Muß es unbedingt Müller-Thurgau sein? Ja, aber dann einer wie dieser hier: 2022 Müller-Thurgau trocken mit süßem Apfelduft, später Heu, wir meinen auch Minze zu schnuppern. Im Mund herber Apfel, dessen Fleisch braun zu werden beginnt, süße Kräuter, Fenchelgrün, und über eine Note von Eisbonbon, die wir eher bei Riesling verorten, wurde die Runde sich nicht einig. Vollmundig, dank feinster Säure saftig und animierend. Kein filigraner Wein, muß er auch nicht sein, stark und robust gegenüber allerlei kulinarischen Zumutungen, vor allem aber nicht zu süß. Im langen Nachhall wieder der köstliche, braun werdende Apfel. Eine echte Überraschung - und neben dem feinherben Samtrot bislang unser Favorit aus dem Hohrainhof. Füllmaterial für Schorle? Bloß nicht!!
Eine weitere überraschung für uns ist der 2023 Traminer aus der bunten Traminer-Familie. Im intensiven Duft die bekannte und je nachdem beliebte oder gefürchtete Gewürztramineraromatik in Reinkultur: Lychee, Teerose, gekochte Quitte, später vielleicht Florales wie Jasmin, etwas Rauch, pure Exotik. Von allem nimmt der erste Schluck nichts weg: Gala-Melone, kräftige Noten von Bitterorange, Grapefruit und ein Hauch Terpentin oder Malerwerkstatt, der Spannung in die exotisch-würzige Seligkeit bringt, kommen hinzu. Vom manchmal vorkommenden salzigen Akzent keine Spur. Der Wein schmeichelt sich den Gaumen hinab, extraktreich, kompakt, ein (nicht zu) süßes Zuckertröpfchen mit milder Säure, und obwohl der Wein üblich kühl serviert wurde, hat er - darüber war sich die Runde einig - „heimelig-warmen“ Charakter, der lange haften bleibt. Ein großer Wurf aus einer Rebsorte, die ihre Ära wahrscheinlich hinter sich hat.
Wenn es schon keinen Klassiker namens Trollinger im Programm gibt, Kerner ist dabei: 2023 Kerner. Auch er unverblümt süß, süßer, als inzwischen schwer zu findende Konkurrenzprodukte es sind; bei Ringle-Roth kommentierten wir einen. Körperreich, saftig, ungeheuer animierend, und im langen Nachhall verstecken sich rosige Traminergrüße. Vor allem cremig ist er, und das war dann doch unerwartet, denn mit dem angenehmen Mundgefühl und zurückhaltendem Alkohol wird der Wein zum Dessertbegleiter, wenn man nicht zum fetten Dessertwein greifen und es in der Speisenwahl variabler halten möchte. Wer aber einen ausgesprochenen Dessertwein sucht, wird mit der 2022 Kerner Beerenauslese fündig. Taugt Kerner überhaupt für diese hohe Stufe der Weinbereitung? Warum nicht, hier haben Sie den Beweis. Und ist der 22er im Spätherbst 2025 nicht zu jung? Ungefähr zur Zeit unserer Probe hatten wir eine 2001er Kerner Beerenauslese vom Weinhof Lorenz, Winnenden im Glas, die den 22er vom Hohrainhof nicht unbedingt übertraf. Also warum warten. Auf die oft so spannenden, aber auch schweren Reifenoten, Paraffin, Kandiertes, Walnuß und so weiter muß man eben verzichten. Unverschämt süß, denn der fast dickflüssige Wein schleppt 142g/l Restzucker mit sich, andererseits ist das nicht so viel, daß er den Gaumen verkleben würde. Noten von Orange, türkischem Honig, vielleicht Haselnuß. Feinste Säurespitzen pieksen. Unendlicher, orangenfruchtiger Nachhall, köstlich. Für einen echten Dessertwein nicht überfordernd, recht unkompliziert zu genießen und außerdem zu günstig.
Und so wurde - für uns unerwartet - aus einem schwäbischen Weingut mit solider roter Palette ein ganz heißer Tipp für hervorragende Weiße...